Abschlussrechtliche Untersuchung des Alarmsignalverfahrens laut WVV
(Körperschafts- und Vereinsrecht)
Am 12. Oktober 2021 gab die Kommission für buchhalterische Normen (CBN) ein
Gutachten zum Alarmsignalverfahren nach dem Körperschafts- und Vereinsrecht
(WVV) heraus. Die Anwendung des Alarmsignalverfahrens hängt in großem Maße von
den Bewertungsregeln ab, die das Verwaltungsorgan handhabt. Geschäftsführer, die
die Regeln korrekt anwenden, vermeiden die ihnen drohende besondere
Verantwortlichkeit.
Alarmsignalverfahren und Nettovermögen
Wenn das Nettovermögen einer Gesellschaft unter bestimmte Schwellen fällt, muss
das Verwaltungsorgan die Generalversammlung der Gesellschaf einberufen, und muss
die Leitung Vorschläge vorlegen, um nach Möglichkeit den Fortbestand der
Gesellschaft zu garantieren. Die Generalversammlung kann dann entscheiden, was
sie mit diesen Vorschlägen zu tun gedenkt.
Der Begriff Nettovermögen stellt sich auch im Falle von Dividenden. Das
Nettovermögen der Gesellschaft darf nicht infolge der Ausschüttung von
Dividenden negativ werden.
Auch nach dem früheren Körperschaftsrecht gab es schon diese Regeln. Die
Definition des Nettovermögens änderte sich jedoch je nachdem, ob es um das
Alarmverfahren ging oder die Ausschüttung einer Dividende. Nach dem alten Recht
war das Nettovermögen:
beim Alarmsignalverfahren identisch mit der Summe der Aktiva abzüglich der
Rückstellungen und der Schulden.
bei der Ausschüttung von Dividenden in Höhe der Summe der Aktiva abzüglich der
Rückstellungen und der Schulden und des Weiteren abzüglich des noch nicht
abgeschriebenen Betrages der Kosten der Gründung und Erweiterung und bis auf
einige Ausnahmeregelungen des noch nicht abgeschriebenen Betrages der Kosten
der Forschung und Entwicklung.
Unter dem WVV gibt es nur noch eine Definition des Nettovermögens:
Es entspricht der Summe der Vermögenswerte abzüglich der Rückstellungen, der
Schulden und außer in Ausnahmefällen, die anzugeben und zu begründen sind in
den Erläuterungen zum Jahresabschluss der noch nicht abgeschriebenen Beträge
der Gründungs- und Erweiterungskosten sowie der Kosten der Forschung und
Entwickelung.
Die neue Beschreibung stimmt folglich mit der alten Definition von
Dividendenausschüttungen überein.
Es sei bemerkt, dass die CBN nicht angibt, in welchen Ausnahmefällen die
Forschungs- und Entwicklungskosten nicht in Abzug gebracht werden
müssen.
Schwellen des Alarmverfahrens in der AG
Die Alarmschwelle wird bei einem Verlust des Nettovermögens der Gesellschaft
ausgelöst, d.h. wenn es gefallen ist auf:
weniger als die Hälfte des Gesellschaftskapitals oder
weniger als ein Viertel des Kapitals. In diesem Fall kann sogar die Auflösung
der Gesellschaft mit einem Viertel aller Stimmen beschlossen werden.
Schließlich kann jeder Betreffende oder die Staatsanwaltschaft die Auflösung der
Gesellschaft vor Gericht einfordern, wenn das Nettovermögen unter den
Schwellenwert von 61.500 Euro gefallen ist.
Unter dem Kapital einer AG versteht die CBN das angelegte Kapital, das mit dem
Passivposten I.A.1 in der Bilanz übereinstimmt.
Schwellen des Alarmverfahrens in BV und Genossenschaften
Bei den sogenannten kapitallosen Gesellschaften muss das Alarmsignalverfahren
angewendet werden,
wenn das Nettovermögen der Gesellschaft negativ zu werden droht oder negativ
geworden ist. Es muss in dem Fall die Rede von einem erlittenen Verlust sein,
damit der Fall des Nettovermögens festgestellt werden kann.
wenn das Leitungsorgan feststellt, dass es nicht mehr feststeht, dass die
Gesellschaft gemäß den vernünftigerweise zu erwartenden Entwicklungen imstande
sein wird, in den zwölf kommenden Monaten ihre Schulden zu begleichen, sobald
diese einforderbar werden.
Wichtig: Das Alarmsignalverfahren ist zwingend. Die Statuten der Gesellschaft
können von diesem gesetzlichen Verfahren abweichen mit strengeren Bestimmungen,
aber nicht mir flexibleren Regeln!
Rolle des Leitungsorgans und Zeitschiene
Das Leitungsorgans, das feststellt, dass das Nettovermögen entweder unter dem
angelegten Kapital liegt oder negativ zu werden droht, muss das
Alarmsignalverfahren einleiten. Sowohl die Festlegung der Schwellen als auch der
Zeitpunkt deren Überschreitung sind folglich entscheidend.
Die CBN bemerkt dazu, dass ihrer Meinung nach das Leitungsorgan obligatorisch
prüfen muss, ob die Anwendungsbedingungen des Alarmsignalverfahrens erfüllt
sind, wenn eine Rechts- oder Statutenbestimmung vorschreibt, dass der
finanzielle Zustand der Gesellschaft unter die Lupe genommen werden muss. Das
ist natürlich der Fall beim Abschluss. Aber es kann auch der Fall sein bei der
Erstellung eines Bilanzentwurfes, einer halbjährlichen buchhalterischen
Aufstellung, die dem Aufsichtsrat vorgelegt werden muss, einer
Quartalsaufstellung, die dem Betriebsrat übermittelt werden muss, einer
(Zwischen)abrechnung der Aktiva und Passiva, die bei anderen Verrichtungen
erstellt werden, muss, usw. Die Statuten können strengere Regeln auferlegen.
Das Leitungsorgan ist nämlich verpflichtet, sich fortwährend und rechtzeitig
zu beraten, wenn gewichtige und übereinstimmende Fakten auftreten, die den
Fortbestand des Unternehmens in Gefahr bringen können.
Bewertungsregeln in going concern
Bei der Aufstellung des Jahresabschlusses wählt das Leitungsorgan die
anzuwendenden Bewertungsregeln. Diese Bewertungsregeln haben nämlich einen
bedeutenden Einfluss auf die Festlegung des Nettovermögens des Betriebes. Die
CBN schreibt vor, dass der Ausgangspunkt der Bewertung die Fortführung des
Gesellschaftsbetriebs sein muss. Die Unterlagen, auf deren Basis im Rahmen des
Alarmsignalverfahrens nachgeprüft werden muss, ob die Schwellenwerte
überschritten wurden, müssen im Prinzip in going concern aufgestellt werden.
Im Prinzip dürfen Sie diese Regeln nicht vom einen Geschäftsjahr zum anderen
ändern. Das Verwaltungsorgan darf bei der Aufstellung des Jahresabschlusses
bestimmte bedeutende Veränderungen in den Tätigkeiten der Gesellschaft nicht
ignorieren. Wenn die üblichen Bewertungsregeln nicht mehr länger ein getreues
Bild des Vermögens, der finanziellen Position und des Ergebnisses der
Gesellschaft abgeben, müssen sie in Frage gestellt werden.
Diskontinuität
Wenn das Leitungsorgan meint, dass der Betrieb nicht mehr fortgesetzt werden
kann, müssen die Bewertungsregeln einer Situation der Nichtfortsetzung angepasst
werden, was bedeutet, dass:
die Gründungskosten vollständig abgeschrieben werden müssen;
für die festen und flüssigen Aktiva erforderlichenfalls weitere Abschreibungen
oder Wertminderungen verbucht werden müssen, um den Buchwert wieder auf den
vermutlichen Realisierungswert zu bringen;
eine Rückstellung gebildet werden muss für die Bestreitung der Kosten der
Einstellung der Unternehmenstätigkeiten, insbesondere auch für die
Entschädigungen für die Mitarbeiter.
Die belgische Buchhaltungsregelung enthält keine Bestimmungen zu der zu
berücksichtigenden Frist für die Beurteilung der Fortbestandsvermutung. Die CBN
ist der Meinung, dass das Leitungsorgan den Fortbestand des Unternehmens
vernünftigerweise über einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten ab dem Datum
des Abschlusses des Geschäftsjahres untersuchen muss.