Sind ein Bußgeld und eine Steuererhöhung eine doppelte Bestrafung?
Die Steuergesetzgebung beinhaltet sehr viele Pflichten, die im Falle deren
Missachtung durch Sanktionen, Strafgelder, Pfändungen, Zwangsvollstreckungen
aufgezwungen werden können. Die Strafen können administrative sein
(Steuererhöhung) oder strafrechtlicher Natur (Geldstrafen). Es kann auch beides
sein! Ist dies nicht eine doppelte Sanktion, die untersagt wurde vom
Europäischen Gerichtshof der Menschenrechte?
Fakten
Ein Ehepaar er Anwalt, sie Notarin reichen 2014 eine Steuererklärung ein,
Folge einer sich anbahnenden Scheidung. Der Fiskus schickt eine Erinnerung, doch
die bleibt unbeantwortet. Die Steuerverwaltung legt kurz danach eine
administrative Geldstrafe von 1.250 Euro wegen versäumter Erklärung
auf.
Danach tritt das Paar dennoch in Aktion und reicht eine Steuererklärung
ein. Das Strafgeld wird entrichtet.
Später erfolgt beim Mann eine gründliche Steuerprüfung, die zu einer Erhöhung
seines steuerbaren Einkommens führt. Er ist einverstanden. Der Fiskus legt
letzten Endes eine Veranlagung von Amts wegen fest, mit einer Steuererhöhung von
10 % wegen verspäteter Steuererklärung. Die Frau ist nicht damit einverstanden.
Sie lebte schon von Tisch und Bett von ihrem Mann getrennt. Es hätte also keine
gemeinsame Veranlagung erfolgen dürfen.
Die Frau bekommt 2019 Recht, und der Fiskus schickt eine sogenannte
Subsidiarveranlagung, d.h. eine Veranlagung auf den Namen der Frau. Dabei
berechnet der Fiskus immer noch eine Steuererhöhung von 10 % aufgrund einer
verspäteten Steuerklärung.
Non bis in idem?
Das Gesetz erlaubt es effektiv, ein Strafgeld und eine Steuererhöhung
aufzuerlegen, wenn der Steuerpflichtige keine oder eine verspätete
Steuererklärung einreicht.
Der Europäische Gerichtshof für die Menschenrechte beschloss schon früher, dass
auch Verwaltungsstrafen einen strafrechtlichen Charakter haben können. Wir haben
es jedoch mit zwei Strafen für ein und denselben Tatbestand zu tun. Das non bis
in idem-Prinzip besagt hingegen, dass niemand zweimal für ein und dieselbe Tat
betraft werden darf. Daraus könnte man ableiten, dass ein Strafgeld und eine
Steuererhöhung niemals gleichzeitig auferlegt werden dürfen.
Die
Steuerverwaltung sieht dies jedoch anders.
Auch der EuGh vertritt die Ansicht, dass ein Rechtssystem, das die Auferlegung
mehrerer Strafen ermöglicht, nichtsdestoweniger erlaubt ist, wenn zwischen
beiden Verfahren ein ausreichender substanzieller und zeitlicher Zusammenhang
besteht. Eigentlich läuft es darauf hinaus, dass man beide Strafen nicht als
getrennte Strafen sieht, sondern vielmehr als zusammenhängendes Systems der
Bestrafung der im vorliegenden Fall ausgebliebenen Steuererklärung.
Dies bedeutet, dass der Fiskus sowohl eine Strafe als auch eine Steuererhöhung
auferlegen darf. Und der Richter darf und muss sogar über die
Verhältnismäßigkeit der Sanktionierung urteilen.
Nicht übertreiben
Das Genter Berufungsgericht, das sich 2021 mit der Sache befassen musste, folgt
exakt dieser Argumentation. Es ist der Meinung, dass folgenden Umständen
Rechnung getragen werden muss:
Die Erklärung wurde später nachgereicht.
Die Steuererklärungsangaben auf Seiten der Frau wurden ohne Änderung von den
Besteuerungsdienten übernommen.
Der Steuerpflichtige hatte die von ihr geschuldete Steuer bereits größtenteils
durch die einbehaltene Quellensteuer entrichtet und
es gab keine Vorgeschichte, so dass nicht die Rede von versuchter Täuschung sein
kann.
Eine Verwaltungsstrafe von 1.250 EUR wegen verspäteter Einreichung der
Steuererklärung steht laut Gericht in passendem Verhältnis zur Art und zum Ernst
der Verfehlung und deckt das Ziel, entweder eine Entschädigung zu zahlen
(Arbeitsaufwand des Fiskus sowie auch der Gemeinschaft aller Steuerzahler), zu
bestrafen und vor Wiederholung abzuschrecken. Darüber hinaus eine Steuererhöhung
von 10 % aufzuerlegen, stand hingegen nicht im Verhältnis zur Art und zum Ernst
der Zuwiderhandlung.
Verfassungsgericht
Das erstinstanzliche Gericht von Luxemburg musste sich mit einem ähnlichen Fall
befassen. Eine verspätete Erklärung veranlasste in dem Fall zu einem Strafgeld
von 1.250 Euro, gefolgt von einer Steuererhöhung von 50%, weil es sich um eine
vierte Übertretung handelte.
Doch anstatt wie beim Genter Berufungsgericht zu untersuchen, ob die Kombination
beider Sanktionen zusammen eine vernünftige Sanktion darstellen, geht das
Gericht von Luxemburg zum Kern der Sache: Das Gericht erkundigt sich beim
Verfassungsgericht, ob es möglich ist, zwei verschiedene Strafen für ein und
denselben Tatbestand aufzuerlegen.
Die Antwort des Verfassungsgerichte ist noch nicht da, doch es lohnt sich
bestimmt, die Sache zu verfolgen. Auch deshalb, weil eine doppelte
Sanktionierung sehr üblich ist bei der Steuerverwaltung.